Wille zum europäischen Austausch

Dr. Stephan Geifes, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD

Zukunft von Erasmus: Dr. Stephan Geifes, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, über die Weiterentwicklung des europäischen Programms.

Herr Dr. Geifes, die Corona-Pandemie hat auch massive Einschränkungen für die akademische Mobilität gebracht. Wie hat sich die Krise bisher auf den Erasmus-Austausch ausgewirkt?

Eine große Zahl der Studierenden hat sich trotz geschlossener Universitäten, trotz Kontaktsperren und vieler weiterer Einschränkungen dafür entschieden, ihr Studium im jeweiligen Gastland digital fortzusetzen. Wir beobachten einen enormen Willen der jungen Leute zum europäischen Austausch. Dieser Wille zeigt sich auch darin, dass uns während der Corona-Krise zahlreiche Anfragen zur Zukunft der physischen Mobilität mit Erasmus erreicht haben.

Wie hat der DAAD als Nationale Agentur für die EU-Hochschulzusammenarbeit auf die Krise reagiert?

Wir haben, wie die anderen europäischen Nationalen Agenturen und die EU-Kommission, schnell reagiert und die Corona-Krise als höhere Gewalt anerkannt. Das bedeutet auch, dass die Hochschulen trotz des Ausfalls von Studieninhalten nachgewiesene Kosten der Erasmus-Geförderten bis zur vollständigen Höhe des Stipendiums übernehmen können. Auch sichern wir damit finanziell ab, dass Auslandssemester online beendet werden können oder dass von Erasmus geförderte Praktikantinnen und Praktikanten ihr Praktikum im Homeoffice abschließen können. Die Flexibilität der EU-Kommission zeigt sich zudem grundsätzlich bei der Förderung von Erasmus-Praktika für Graduierte: Diese können angesichts der Corona-Ausnahmesituation bis zu 18 Monate nach einem Studienabschluss beendet werden; normalerweise beträgt die Frist zwölf Monate.

Erasmus soll inklusiver, digitaler und ökologischer werden

Was bedeutet die Corona-Krise für die Zukunft des Erasmus-Programms?

Der Zeitplan für die Entscheidungen zur neuen Erasmus-Programmgeneration der Jahre 2021 bis 2027 ist aus dem Rhythmus geraten, aber an den Zielen ändert sich nichts. Erasmus soll inklusiver, digitaler und ökologischer werden. Der DAAD unterstützt diese drei Ziele ausdrücklich. Auch wird die neue Erasmus-Programmgeneration nach jetzigem Planungsstand die Projektförderung und die „Europäischen Hochschulen“ weiter stärken und an die ersten beiden Pilotausschreibungen zu diesen neuen Hochschulallianzen anschließen. Ausgehend von dieser Strahlkraft werden neue Formen der Hochschulzusammenarbeit in ganz Europa entstehen.

Was bedeuten die Veränderungen des Erasmus-Programms für die Studierenden?

Der Fokus des Programms soll noch stärker als bisher auf Inklusion gelegt werden: Wir möchten mit dem akademischen Austausch deutlich mehr junge Menschen erreichen, die bisher einen Studienaufenthalt im Ausland noch nicht auf dem Schirm hatten. So wollen wir etwa Anreize zur Mobilität für diejenigen schaffen, die als Erste in ihren Familien studieren oder die auf Nebenjobs besonders stark angewiesen sind. Gleichzeitig haben wir die Herausforderung im Blick, dass sich auch die akademische Mobilität mit Rücksicht auf ihren ökologischen Fußabdruck weiterentwickeln muss. Hier eröffnet die Digitalisierung, vom Lernen über die Lehre bis hin zur Verwaltung, wertvolle Chancen. Gerade Erasmus-Projekte wie zum Beispiel Strategische Partnerschaften oder Kapazitätsaufbauprojekte bieten sehr gute Ansätze, um neue Wege zu gehen und Innovationen in Lernen und Lehre zu testen. Auch dies kommt Studierenden und Lehrenden letztendlich sehr zugute. Das Erfahren Europas durch physische Mobilität ist durch nichts zu ersetzen, aber digitale Formate bieten oft wertvolle Optionen. Das hat die Corona-Krise verdeutlicht, und so können wir auch aus dieser Krise für die Zukunft lernen.

Interview: Johannes Göbel